talk talk

Das Interview als künstlerische Praxis


Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, 27. 5 – 27.6. 2009
Kunstverein Medienturm, Graz, 26. 9. – 28. 11. 2009, in Kooperation mit steirischer herbst Galerie 5020 Salzburg, 3. 12. 2009 – 31. 1. 2010

Projektidee: Marc Ries
KuratorInnen: Reinhard Braun, Hildegard Fraueneder, Marc Ries + IAG-Leipzig

Mit Arbeiten von:
Roozbeh Asmani (D), Gregory Bateson (GB/USA),  Ursula Biemann (CH), Sabine Bitter, Helmut Weber (A/CAN),  Jörg Burger (A), Yvon Chabrowsky (D), Dellbrügge & de Moll (D), Jeanne Faust (D), Andrea Fraser (US), Till Gathmann (D); Ronald Gerber (D), Jochen Gerz (D/IRL), Jean-Luc Godard (F), Klub Zwei (A),Kathi Lackner (A), Katarina Matiasek (A), Alex McQuilkin (US), Björn Melhus (D), Antoni Muntadas (E), Daniel Pflumm (D), Mark Raidpere (EST), Oliver Ressler & Dario Azzellini (A/D/VEN), Julika Rudelius (NL), Corinna Schnitt (D/US), Axel Stockburger (A/GB), Kerry Tribe (US), Ingrid Wildi (CL/CH), Manuela Zechner (A/GB)

Wir leben in einer Kultur des permanenten Geredes, der allgegenwärtigen Investigation und Kontrolle, des öffentlichen Geständnisses und der Selbstinszenierung. Im Zentrum dieses Spektakels der systematischen Befragung und Mitteilung steckt letzten Endes eine der ältesten Kulturtechniken: das Interview. Das Ausstellungsprojekt »talk talk« wird die Macht und die Kunst dieser Methode und Technikder Befragung im Kontext zeitgenössischer Kunstformen thematisieren und mit ausgewählten Positionen als künstlerische Praxis ausstellen.


Dabei zeigt sich, dass Sprache, Rede, Gerede, Befragung,Offenbarung, Bezeugen und Berichten in vielfältiger Weise mit visuellenPraktiken verschränkt sind. Es ist also naheliegend, der Entstehung undVerbreitung des Interviews innerhalb unserer Kultur mit den Mittelnzeitgenössischer Kunst nachzuspüren, um die gesellschaftlichen Grenzen zwischenSelbstentdeckung, Verhör, Zeugenschaft, Geständnis, Outing, Dialog undVerstehen auszuloten.

Mit der besonderen Form und Methode des Erkenntnisgewinnsdurch das Interview wurde nicht zuletzt das Programm einer Rationalität derModerne seit dem 16. Jahrhundert eingeleitet, deren zentrales Medium dieSich-selbst-analysierende-Sprache bzw. die Logik der Kommunikation ist. Wie istes aber um dieses Programm der Rationalität heute bestellt? Welche Rolle spieltdas Interview als Kulturtechnik nach dem Übergang von einem sprachlichen zueinem visuellen Paradigma der »Visual Culture«? Welche Aufgabe kommt derSprache im Rahmen eines Überhandnehmenden, medial verstärkten und permanenten»Geredes« (Paolo Virno) zu, das ein zur unbeschränkten Zirkulationfreigegebenes Wissen produziert? Haben damit »alle« die Möglichkeit, zusprechen, eine Stimme zu bekommen? Befinden wir uns »im Herzen« neo-liberalerPolitik, wenn Produktion und Konsumption zu einer Kommunikation mittelsKommunikation geworden ist, zu einer Handlung, die in keinem »Werk« kulminiert,sondern sich nur mehr um die Aufrechterhaltung von permanenterAnschlusskommunikation dreht? Wird damit noch ein Wissen produziert und inUmlauf gebracht, das Wirksamkeit entfalten kann?

Das Ausstellungsprojekt »talk talk« zeigt eine Reihe vonVideoprojekten, die alle in unterschiedlicher Weise in die oft alsselbstverständlich hingenommene Konstellation von Frage und Antwort, Aktion undReaktion, Investigation und Verteidigung intervenieren, sie überhöhen oderparaphrasieren, sie kritisch wenden oder als Produktion einer»Gegenöffentlichkeit« umdefinieren.

Das analytische Display der Ausstellung wird, ausgehend vonden ausgestellten Positionen, die strukturellen Eigenheiten von Interviews undihre gesellschaftliche Allgegenwart in akustischen, visuellen, und textuellenInterventionen erfahrbar machen, damit das Begehren nach den Stimmen derAnderen in einenselbstkritischen, selbstreflexiven Raum überführen.

»Schön wird das Alltägliche als Spur des Wahren, und es wirdzur Spur des Wahren, wenn man das Alltägliche aus seiner Selbstverständlichkeitherausreisst“, schreibt Jacques Rancière. Die Beiträge zur Ausstellung »talktalk« zeigen, inwiefern künstlerische Strategien das Gerede, die Befragung undBeantwortung, das öffentliche Geständnis, das Expertengespräch etc. aus seinerSelbstverständlichkeit herauslösen, um uns Einblicke in zeitgenössischeMechanismen der Wissensproduktion, der Ausbildung von Überzeugungen und Wertenzu geben – Einblicke, die für die aktuell geführten Debatten eines krisenhaftenSystems wichtiger denn je erscheinen.

Marc Ries, Reinhard Braun