Zwei Techniken der Identität


Beitrag für den Katalog zur Ausstellung ´time offset, phase signatures´mit Arbeiten von Albert Sackl und Arnold Reinthaler im Raum dreizehnzwei, Wien, Juni 2007.


Der Satz der Identität findet sich allerorten im Alltag, auch in dem der Kunst. Dabei meint »Satz« eher ein Verfahren, eine Praxis, denn ein Schematismus. Ein Verfahren zur Versicherung und Darstellung von Identischem als »Gleichem«, oder zur Herstellung von einem »uneindeutigen Selben«. Diese beiden Logiken der Identität will ich entlang von zwei Körpertechniken auf die Intentionen ihrer Inhalte befragen – nicht interessiert die Form, sondern die Erfahrung von Identität entlang der Manifestation ihrer jeweiligen Technik.*

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Zunächst soll die Gleichung besprochen werden. »A = A«. Wenn ich eine Liste der Handlungen anlege, die ich an einem Tag innerhalb einer bestimmten Zeit – drei halbe Stunden dieses, eine halbe Stunde jenes .... – durchführe, und diese Liste konsekutiv, Tag für Tag, fortsetze, dann praktiziere ich eine Art Selbstverwaltung meines Lebens über die temporale Registrierung der Menge an vollzogenen und erlebten Aktionen. Ich kann diese Selbstverwaltung technisch vollziehen, mit einem Aufschreibesystem etwa, und die Zeichen vereinheitlichen, damit gewinnt die Gestalt des Tages zusätzlich eine gewisse stereotype Verallgemeinerbarkeit, eine formale Übertragbarkeit auf andere Leben (wenngleich die Handlungen ihre leiblich-konkrete Erfahrung beibehalten). Die hohe Unterschiedslosigkeit – im Schlafen, Sex haben, Putzen... – macht nun mein und die Leben der anderen vergleichbar. Die endlos scheinende Summe der Mengen dieser Aktionen strahlt die Gewöhnlichkeit eines »gemeinen« Lebens aus, zugleich ist sie auch dessen Spiegel, dessen transfigurativer Tausch mit Schrift. Das Leben gewinnt eine Darstellung über seine Listung.  Die Liste ist Produktion/Reproduktion von Identität, Identität als Gleichung gedacht, als Gleichheit von mir und der Summe all meiner symbolisch reproduzierten Akte. Dies muss sogleich als Skandal des Identitätssatzes ausgewiesen werden, da das, was er als eines behauptet, wenn er überhaupt zutreffend behaupten will, zweimal da sein muß; dass er also bereits ausgeht von der Spaltung dessen, wovon er sagt, es sei eines.* Die Frage muß also stets lauten: identisch womit? Die Spaltung ist konstitutiv für unsere gewöhnlichen Identitätskonstruktionen: Identisch-sein mit Heimat, mit Zeichen und Dingen, die man um sich scharrt... All diese weisen Identität aus, sind Ausweise als Beweise von Identität. Ein jeder Ausweis ist eine Liste körperliche Attribute, kombiniert mit Verwaltungsinsignien. Ziel ist es, Identität als Substanz zu entwerfen. Der Zeigefinger: »Der-da« ist »Diese-Aufzeichnung-hier«, wird zum Typewriter-Finger: Jeder weitere Anschlag der Finger auf einer Tastatur, durchgeführt mit der Absicht einer protokollarischen Übersetzung der vollzogenen Akte in ein symbolisch verallgemeinertes Medium, stellt die Einheit, die Gleichung von neuem zusammen, erst die Addition von zeitlich bestimmten Einzelgeschehen lässt die Ordnung der Identität erkennen. Die Liste wird zur Demonstration von alltäglicher Lebenszeit, ihre intentionale Struktur zeigt mich, A, als ziemlich redundante, zugleich unverwechselbare Erscheinung all meiner Akte, A. Die Liste ist ein Kreisel, sie kreist tagtäglich um dasselbe, sie bleibt sich selbst die und damit ich mir der gleiche. Meine Akte und ich gehören eindeutig zusammen. Die Liste und ich, wir lassen uns vergleichen, sind gleiche. Ihr penetrantes Protokoll, ihr Abzählritus ist Berechnung des Berechenbaren meines Alltags. Identität als Aussage eines vergleichenden Kalküls.

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Nun zum Zweiten und zum Selben. Damit etwas das Selbe sein kann, genügt jeweils eines. Es bedarf nicht ihrer zwei wie bei der Gleichheit. »A = A«. Wenn ich Fotos von mir mit einer filmischen Technik animiere, sie so in Bewegung versetze, dass diese Bewegung nicht mehr meinen eigenen körperlich vorgegebenen Bewegungsformen entspricht, dann kann das zunächst heiter sein, es ist aber vor allem ein Versuch, das Leben von mir als ein »filmisches« fortzusetzen, ihm als ein solches eine eigene andere Identität zu übertragen. Da ich nun etwas »anderes« als filmischer Körper tue – zum Beispiel gleichmässig schnell und ohne Ende rotiere, von links nach rechts schwebe, mich gar verdoppele, verfielfache, Hinten und Vorne ununterscheidbar werden, in den Überblendungen eine Art »dritter Körper« entsteht –, muss diesem anderen Körper gleichfalls Identität zugedacht werden, wenngleich eine andere, als die meiner vorfilmischen Existenz. Das filmische Ich ist selber ihm selbst dasselbe. Es gibt nun nicht mehr mich und ein zweites, ein »womit« als eine Gleichheit. Es, das Filmische, ist sich selbst dasselbe, so wie ich mir selbst dasselbe bin. Das bedeutet, dass dem Filmischen Sein zukommt, besser, dass filmisches Denken – das Cogito der Kamera, der Postproduktion – und Sein als das Selbe entworfen werden können. Diese nun allem vorauszusetzende Identität ist es, die auch das Leben der Bilder antreibt, es allererst hervorbringt – und nicht, wie in unserer Tradition üblich, das Leben die Identität inkludiert, die Identität also zu ihm bloss hinzu kommt. Es ist, als ob das Bild und der Körper unabdingbar, zugleich uneindeutig zueinandergehören. Das Unnatürliche gerade ist Garant für die Zeugung dieses Körperspiels als filmisches Ereignis. Wobei der Film ja zunächst angetreten war, eine Gleichung zu postulieren, die aufgezeichnete und in der Projektion wahrnehmbare Körperbewegung als Film war der direkten Erfahrung von Bewegung auch des eigenen Körpers analog. Ich sehe im Kino Bewegungsformen, die völlig ident sind, zu jenen meines Alltags. Man hat diesen erstaunlichen Realismus als kinematographische Illusion beschrieben, zuallerest ist er jedoch Ergebnis der »Kino-Natur«, denn: „Die Natur kennt nicht dasselbe, sondern nur das gleiche.“ 1 Dass sich im Bild Menschen und Dinge bewegen, so wie sie sich auch außerhalb des Bildes bewegen, diese Unveränderlichkeit und Ununterscheidbarkeit oder auch Koextension und Kompossibilität von Bild und Welt, ihre Identitätproduktion als Gleichung machen die unvergleichliche Anziehung des Filmschen aus.  Dennoch hat das Kino sehr bald an etwas eigenem gearbeitet, hat seine Möglichkeiten über die Analogien springen lassen und einen filmischen Raum mit Kamerabewegung, Montage und eben Tricktechnik ausgebildet, der selber ihm selbst dasselbe ist, der also keine Referenz mehr kennt, ausser die auf sich selbst. Mit Kino wird eine Darstellung möglich, die nicht mehr zum Menschen dazu gehört, die ihn exaltiert sich transfigurieren lässt und die ausschließlich dem Kino als solches zugeeignet ist, da sie aus den Potentialitäten der Technik ein Eigenes, eine »artifizielle Selbigkeit« schafft. Diese »neuen Körper«, ihr anderes Sein, sie entspringen, ereignen sich aus Technik als einer heteronomen Kraft. Obwohl oder vielleicht gerade weil der filmische Körper nichts tut, keine Selbstbewegung kennt, nur die außerordentlich fremdhaften Bewegungsverläufe des Regimes der Technik und die mit ihr ausgeführten Transfigurationen zeigt, ist er mehr er selbst als seine in mimetischen Spielen reproduzierten Geschwister.

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Die Liste als Aufschreibesystem von Gleichem und der Film als Zeugungssystem von Selbst sind also je verschiedene Identitätstechniken. Hier Aussage und Ordnung des Zusammen von Körperakten, dort Zueignung und Sprung – Sprung in das Einandergehören von Körper und Bild. Wenn wir davon ausgehen, dass beide Techniken je verschiedene Konstellationen beschreiben, die zu zwei Identitätsmodellen führen, dann ist Technik als solche eine Aufgabe gestellt, die weit über bloße Anwendungen hinausreicht. Das von ihr vorgestellte Verhältnis von Mensch und Sein, kann als Vorspiel eingesehen werden für ein singuläres Ereignis. Ereignen verstanden als erblicken, im Blicken zu sich rufen, aneigenen. Ich möchte davon ausgehen, dass in Kunst übersetzte Technik ein solcherart verstandenes Ereignis in besonderer Weise sich anzueigenen versteht. Der Kunstprozeß eignet sich die schwierigen Bedingungen zeitgenössicher Lebensformen an und reformuliert sie innerhalb seiner eigenen Formen und Sprachen ¬– auch zur besseren anfänglichen Erfahrbarkeit von technischer Welt. Logische Kunst also als eine ins maßvolle/maßlose gesteigerte Identitätssuche*. Ausdruck und Aussage der Listen und Bilder werden zu einem in sich schwingenden Bereich, ein schwebender Bau, mit dem wir das Gleiche und das Selbe und die von ihm ermöglichten Transfigurationen als ästhetische Erfahrung zwischen Aufklärung und Verklärung verstehen und begehren lernen.

"Fussnoten"

Diese Überlegungen sind eine Auseinandersetzung mit Martin Heidegger´s Text „Der Satz der Identität“ (1957), in: Gesamtausgabe Band 11, Identität und Differenz. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2006, S. 33-50). Alle kursiv gesetzten Worte sind diesem Text entnommen, bzw. sind auch in diesem vorhanden. Alle mit * endenden Sätze beziehen sich auf Passagen aus: Klaus Heinrich: tertium datur. Eine religionsphilosophische Einführung in die Logik. Dahlemer Vorlesungen. Basel, Frankfurt am Main: Stroemfeld/Roter Stern 1987